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Niugini Cycling

Angenommen ich möchte mir eine Tasse Kakao gönnen, habe aber keine Milch im Hause. Dann muss nach Arawa gefahren werden und das sieht folgendermaßen aus:
Um 7 Uhr morgens stelle ich mich unter den Mangobaum an der Straße und warte. Normalerweise kommt nach spätestens einer halben Stunde ein PMV, das heißt ein Klein-LKW mit Sitzbrettern auf der Ladefläche. Auf den steige ich auf und nach zwei bis drei Stunden holpriger Fahrt komme ich mit schmerzendem Hinterteil in Arawa an. Dort erledige ich meine Einkäufe und bitte meinen PMV-Fahrer, mich bei Detes Haus abzuholen. Um ein Uhr komme er, ich bin um halb ein Uhr bereit, denn es kann ohne Weiteres sein, dass er schon so früh auftaucht. Mit unter wird's auch mal halb vier. Anschließend werden noch alle Möglichen Leute in der Stadt eingeladen und zurück geht die Fahrt nach Koromira. Diese dauert normalerweise von Haustüre zu Haustüre zweieinhalb bis dreieinhalb Stunden. Koromira ist 41 km von Arawa entfernt.
Die Bilanz einer durchschnittlichen Fahrt: 2-3 Stunden Wartezeit, fünf Stunden auf dem PMV, drei bis vier Stunden zum Einkaufen und einen schmerzenden Hintern. Monatelang habe mir überlegt, wie ich die ganze Sache effektiver gestalten könnte und plötzlich kam mir die Idee: Fahrrad. 82 km sind bei gemütlicher Fahrt fünf Stunden im Sattel, keine Sekunde Wartezeit, unbegrenzt Zeit zum Einkaufen, uneingeschränkte Flexibilität und einen schmerzenden Hintern, aber den habe ich so oder so. Also muss ein Fahrrad her.
 
Ich weiß, dass nach Bougainville nur die schlechtesten Modelle aus China geschickt werden, deshalb versuche ich Kollegen und Kolleginnen aus Deutschland und Neuseeland zu überreden, mir ihre kaum verwendeten Drahtesel zu verkaufen. Leider haben diese Menschen kein Mitleid mit mir, weshalb ich anfange jeden Radfahrer in Arawa und Koromira nach Preis und Herkunft seines Gefährts zu fragen. Es findet sich ein Geschäft, das mich für umgerechnet 100 Euro ein rotes Zweirad aus dem Lagerraum tragen lässt. Erst wird der Hinterreifen repariert, denn der ist platt, dann bezahlt und verladen. Ich decke mich mit Ersatzschlauch, Flickzeug und einer nicht funktionierenden Pumpe ein und freue mich. Die erste Fahrt nach Koromira muss mein edles Ross auf dem PMV bestreiten, ganz nach dem Motto "langsames Gewöhnen ans neue Terrain".
 
Daheim angekommen werden sämtliche Schrauben angezogen, die Lager gefettet, die Felgenbänder mit Tape ersetzt und Schaltung und Bremsen eingestellt. Ich kann es kaum erwarten meine neue Errungenschaft zu testen. Leider brauche ich nichts aus Arawa, deshalb habe ich auch keinen Grund in die Stadt zu fahren. Ich überlege und frage schließlich Dete, ob er sich Freitagabend nicht auf ein Fläschchen Wein einladen ließe, denn ich hätte da eine angenehme Möglichkeit nach Arawa zu gelangen (seit Neuestem wird in Arawa gelegentlich Wein verkauft). Er kann natürlich nicht Nein sagen und so habe ich meinen Grund für die Fahrt, und nach Feierabend besteige ich mein edles Gefährt um es das erste Mal auszureiten.
 
Auf den ersten zwölf Kilometern ist die Straße nicht befestigt und erinnert mehr an ein ausgetrocknetes Flussbett und ich werde kräftig durchgeschüttelt. Nach fünfundvierzig Minuten erreiche ich bei starkem Regen Asphalt und muss erschüttert feststellen, dass die Kraft in meinen Beinen schon nach dieser kurzen Strecke nachgelassen hat. Doch die nächsten 29 km versprechen angenehmer zu werden, denn mit dem Fahrrad sollte es ein Leichtes sein den unzähligen Schlaglöchern auszuweichen. Als ich beim vorletzten Hügel zehn Kilometer vor der Stadt vom Fahrrad absteige und schiebe, bricht für mich eine Welt zusammen. Es ist nicht so, dass ich lediglich keine Puste mehr hätte, die Kraft ist schlichtweg nicht mehr vorhanden. Mit vierzig Kilogramm Gepäck, Gegenwind, 150 km in den Beinen und eine 20 %-ige Steigung vor mir wäre so etwas eventuell noch zu tolerieren, aber in diesem Fall treibt es mir fast die Tränen in die Augen. Ich hätte mir nie gedacht, dass meine Kondition auf einen solchen Tiefpunkt sinken kann. Mit gesenktem Haupt schiebe ich und auch am letzten Hügel ereilt mich dasselbe Schicksal.
Im Schein meiner Stirnlampe fahre ich in die Stadt ein und denke mir, dass sich mein Drahtesel auf der Fahrt noch relativ gut geschlagen hat. Dass sich ein Pedal während der letzten 20 Kilometer langsam in seine Einzelteile aufgelöst hat ist noch zu verkraften.
Dann, 200 Meter vor Detes Haus, fällt auf einmal die komplette linke Kurbel auf die Straße und ich trete ins Leere. Wieder steige ich ab und schiebe. Völlig fertig und kraftlos komme ich schlussendlich an, lehne mein Fahrrad ans Haus und trete ein.
 
Dete empfängt mich fürstlich mit einem kühlen Bounty und einem dieser isotonischen Drinks in den grünen Dosen.
Da ich eine Kurbel in der Hand halte folgert er richtig, dass ich mit dem Fahrrad gekommen bin, stürzt sich hinter den Herd und serviert 10 Minuten später wohlschmeckendes Hühnchen mit Reis. Später erscheint noch unsere Arbeitskollegin Margit, die sich gerade in Arawa aufhält, und gemeinsam widmen wir uns der Flasche Wein.
 
Am nächsten Tag werden Ersatzteile eingekauft und repariert. Da am Samstagmorgen keine Luft mehr im Hinterreifen ist mache ich mich daran Löcher zu finden und zu stopfen. Komischerweise entweicht die Luft nach jedem Aufpumpen aus einem anderen Loch, obwohl sowohl Felge als auch Mantel tadellos sauber sind, und der Schlauch vor jedem Einbau dicht ist. Nach dem fünften Einbau platzt schlussendlich das Chinesische Fabrikat während dem Aufpumpen in eingebautem Zustand.
Für mich heißt das, dass ich meine Rückfahrt wohl auf Sonntag verschieben muss, denn die wenigen Geschäfte, die am Samstagvormittag offen haben, sind schon zu. Barry, ein Neuseeländischer Freund, schenkt mir am Abend einen Schlauch aus seiner Heimat, welcher die gesamte hineingepumpte Luft auch brav behält.
 
So mache ich mich am sonnigen Sonntagnachmittag gut ausgerüstet wieder auf die Heimfahrt. Ich schaffe die ersten beiden Hügel sogar ohne vom Fahrrad abzusteigen, ich genieße die gemütliche Fahrt und lasse mir dabei von Hubert von Giosern heimatliche Klänge ins Ohr trällern. Mit einem Jodeln und einem gelegentlichen "Tampara!" oder "Tasina!" auf den Lippen fahre ich gemütlich und fast ohne technische Zwischenfälle nach Hause.

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